dogument steht im Hundebereich für Methodenreichtum, die Feinheit in der körpersprachlichen Kommunikation und für den Blick auf die gesamte Hundepersönlichkeit. Und für den besonderen Umgang mit Hunden, die sich aggressiv verhalten. Aber dogument ist mehr. Seit über zehn Jahren schulen wir Pädagoginnen und Pädagogen, unternehmen soziale Projekte mit Jugendlichen und Erwachsenen zum Thema Aggression. Das Spielfilmprojekt DIE RÜDEN beschreibt einen Teil dieser Arbeit, aber vor allem die innere Haltung, die hinter dogument steht. DIE RÜDEN erzählt eine Geschichte auf der Metaebene. 

Die Rüden - Ein Kinospielfilm

Vier verurteilte Gewaltstraftäter, drei hochgradig bissige Hunde und eine Frau, die bereit ist, in den Kampf zu ziehen gegen hilflose Institutionen und den Kreislauf der Gewalt. Vor allem aber gegen die eigenen Zweifel an der Erlösung von dem Bösen.

DIE RÜDEN führt ins Herz einer Finsternis, die heute mit toxischer Maskulinität umschrieben wird. Und leuchtet es aus: In einer Arena aus dunklem, vernarbtem Beton treffen vier junge Gewaltstraftäter auf drei kampflustge Hunde mit metallenen Maulkörben. Testosteron pur also, wäre da nicht Lu, die angstfreie, hochkonzentrierte Hundetrainerin, die sich der Herausforderung stellt, Feuer mit Feuer zu löschen.

Lu siedelt ihr, so riskantes wie von den Strafvollzugs-Autoritäten misstrauisch überwachtes, Projekt jenseits der Fragen nach Täter und Opfer, Schuld und Sühne an. Sie lässt sich ein, auf das Unaussprechliche, das Unkontrollierbare und das Ungewisse, in das es führt. Die Täter, die Tiere, sie selbst. So wird sie zur Provokation und ihr Ansatz zum Sprengsatz für ein System, das noch immer glaubt, man könne Gut und Böse wirklich auseinander sortieren.

Lu lotet auch die Grenzen der Männlichkeit aus. Am Abgrund von Aggression, Gewalt und Uneinsichtigkeit wird die männliche zur menschlichen Grenze. Und deren Überwindung zu einem Thema für uns alle: Die Zornigen wie die Zaghaften, die Handelnden wie die Verdrängenden, vor allem aber: Männer wie Frauen.

DIE RÜDEN ist eine so eindrückliche wie verstörende Reise zum Mittelpunkt der Menschlichkeit.

 

HINTERGRUND

Weltweit sind siebzig Prozent aller Gewaltstraftäter jung und männlich. Sie sind es, die im nicht seltenen Extremfall Busse in Menschengruppen lenken, mit Fäusten und Waffen ihre Ziele erkämpfen, sich gar selbst in die Luft sprengen. Junge und jüngste Männer bilden ein höchst effizientes Instrument des Terrors.

Sie sind Täter. Und sie sind Opfer. Und durchaus auch Retter. Sie waren schon immer die, die unsere Kämpfe gekämpft haben: mit deren Körper Kriege geführt, verloren und gewonnen wurden. Sie sind es, die prügeln, vergewaltigen, Überfälle begehen. Testosteron getränkt, ausgestattet mit geringer Impulskontrolle und wenig Frustrationstoleranz. Enthemmt, bewaffnet, traumatisiert. Sie sind es, die Gefängnisse füllen. Wir schauen auf sie. Verständnislos und angsterfüllt.

Gewalt ist nicht zu begreifen als Zahl oder Statistik. Gewalt ist ein Erfahrungsphänomen. Sie schmerzt. Wir suchen ihr ebenso auszuweichen. Und doch bestimmt sie unsere Realität, ob wir hinsehen oder nicht.

Bevor wir Gewalt und Gewalttäter kontrollieren oder auch nur begreifen können, müssen wir uns ihr und ihnen stellen. Und unsere Gewissheiten verabschieden und ja, unseren Glauben verlieren. Um uns auf einen Aufbruch einzulassen, der diesen Namen verdient.

FAKTEN

Die Form folgt dem Inhalt. Wir mussten den Darstellern, also den ehemaligen Tätern, die ihre Haftstrafen verbüßt hatten, einen Schutzraum bieten. Den sollten sie mit eigenen Erfahrungen und eigener Haltung füllen, er sollte sie jedoch vor persönlicher Entblößung bewahren. Sie waren Darsteller in einem Film, erhielten Spielnamen und fiktionale Vitae, trugen erfundenes Kostüm.

Der Raum, in dem sie agieren ist künstlich überhöht, er wirkt kolossal, fast pathetisch.

Im Wirkungsfeld von Aggression, bei den Männern wie bei den Hunden, bildet Pathos die Basis. Es wird gebrüllt und gebellt, getanzt und posiert, bevor gekämpt wird – die Machtdemonstration als Choreographie.

Das Austragungs-Areal wird zum Pantheon alter Glaubenssätze. Die schweren Wände tragen Narben, Spuren vergangener Kämpfe, Reliefs von Engelsflügeln.

Der Glaubenssatz, man müsse kämpfen, um gesegnet zu werden, ist uralt. Womöglich hat er seinen Ursprung in der berühmtesten kämpferischen Auseinandersetzungen der Menschheitsgeschichte: dem Jakobskampf in der Genesis. Ob „Unbekannter“ oder „Engel“ oder ein Aefenpsychologisch gedeutetes „Ringen mit sich selbst“, der Jakobskampf steht wie kein anderer symbolhaft für die Ambivalenz des Kämpfens.

Hier währt dieser Kampf sechs Tage und sechs Nächte. Diese zeitliche Einteilung verortet den Rhythmus einer Welt, in die hinein es kein Fenster gibt. Nicht zuletzt ist sie Hinweis auf die Schöpfungsgeschichte.

Die Wiederholung und das Kreisförmige sind wesentliche gestalterische Elemente des Films. Die Musik von Hans- Joachim Roedelius und Arnold Kasar formt die akustische Entsprechung. Ihre Musik basiert auf Improvisationen, weist jedoch eine klare rhythmische Struktur auf. Wie das Wogen einer Brandung, die ähnlich, aber niemals identisch wiederkehrt, bringt ihre Musik Sinnlichkeit, Lebendigkeit und Verlässlichkeit in die hermetische Abgeschlossenheit des Gefängnissystems.

AUSGANGSPUNKT

Ich habe vierzehn Jahre lang mit einem unkastrierten Rüden gelebt und glaubte, so ziemlich alles über Hunde zu wissen. Dann traf ich Nadin Matthews. Ich beobachtete die Hundetrainerin bei ihrem Seminar „Mehr als beißen können sie nicht“ - diese Frau war absolut angstfrei und blieb vollkommen gleichmütig beim stundenlangen Kontakt mit wirklich gefährlichen Hunden. So etwas habe ich noch nie gesehen. Ich begleitete sie zu einem viertägigen Aggressions-Seminar in die JVA Wriezen. Die Idee zum Film war geboren.

CASTING

Nach den Erfahrungen in der Haftanstalt stand fest, dass für einen Spielfilm mit echten Problem-Hunden nur Männer mit echten Aggressionsproblemen infrage kommen. Ein Jahr lang casteten wir unter Schwerverbrechern. Neben der schauspielerischen Begabung waren ihre Gewaltdelikte ein wesentliches Kriterium für die Auswahl. Auch wenn der Film ihre Straftaten fiktionalisiert. Weil die Rückfallquote von Gewaltstraftätern sehr hoch ist, casteten wir die doppelte Anzahl, um sicher zu gehen, dass wir bei Drehbeginn noch ausreichend Darsteller haben würden.

Wir entwickelten einen Workshop, in dem die Laien mit ausgewählten professionellen Schauspieler*Innen Spieltechniken erlernen und szenisch arbeiten sollten. Der Workshop lief über drei Monate und wurde begleitet von Streetworkern. So entstand das Theaterstück „Wir müssen draußen bleiben“ mit allen fünfzehn Mitwirkenden.

Auch die Hunde wurden gecastet. Durch Nadins Netzwerk gelang es, an Hunde zu kommen, die man normalerweise nicht zu Gesicht bekommt, wenn man Tierheime besucht. Hunde, die nicht vermittelbar sind, weil sie in Isolationshaft leben. Diego, Georgie und Face sind solche Kandidaten.

Ein Film von Connie Walther

DIRECTOR‘S NOTE

Ich bin Filmemacherin, ich führe ein privilegiertes Leben. Dennoch habe auch ich etliche Berührungspunkte mit Aggression und Gewalt gehabt. Wie fast alle Menschen, überall auf der Welt. Wir alle sind Teil eines strukturell gewallttätigen Ganzen, gleich, wie sehr wir vermeiden, verdrängen, wegsperren. Gewalt ist immer innen. In der Gesellschaft, in uns.

Filme sind Erfahrungsräume, Experimentierfelder auch, nicht zuletzt für jene Grenzerfahrungen, für die wir im realen Leben unsere körperliche und seelische Unversehrtheit riskieren würden.

Als Filmemacherin sehe ich es als meine Aufgabe, Ambivalenzen zu erzeugen. Wenn die Vielzahl widerstreitender Gefühle Gewissheiten so durch einander wirbelt, dass die Intuition (also das Körperwissen) übernehmen kann, wird es spannend. Weil das unhinterfragte Wissen den Verstand an der eigentlichen Erkenntnis hindert. Erst in der Auseinandersetzung mit Widersprüchen gibt es dieses Einlassen, ohne Gewähr und Umtauschmöglichkeit, nach dem ich suche.

Was auch immer auf der Leinwand passiert, es bleibt künstlerische Spekulation. Die Gewissheit, einem Gleichnis und nicht dem wahren Leben ausgesetzt zu sein, wirkt entlastend. Ich mag es, wenn Filme „schwer“ sind und diese Entlastung zunächst aussetzen. Gerade weil sie einen nicht mehr loslassen.

Einstein hat gesagt, es sei schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom. Auch Filme können keine tausendjährigen Glaubenssätze auflösen, aber sie können Initialzündungen sein. Das wünsche ich mir für meine Arbeit. Ich brauche unwegsame Herausforderungen - DIE RÜDEN waren eine.

Cast: Nadin Matthews, Ibrahim Al-Khalil, Konstantin-Philippe Benedikt, Ali Khalil, Marcel Andrée, Sabine Winterfeldt und Robert Mehl

Hundebetreuung: Gerd und Carmen Schuster

Eine Produktion der hands-on producers GmbH Köln in Koproduktion mit zero one film GmbH Berlin und dem SWR in Zusammenarbeit mit ARTE, gefördert von der Film- und Medienstiftung NRW, der Beauftragten für Kultur und Medien (BKM), MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg sowie der Filmförderungsanstalt (FFA)

Deutschland 2018

www.dierueden-derfilm.de